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Weigerung der Politik, sich den Problemen zu stellen

Dieter Schröder las aus seinem Buch "Von Politik und dummen Fragen"
"Von Politik und dummen Fragen - Beobachtungen in Deutschland" ist ein Thema, das in Zeiten anhaltenden Frustes über die politische Kultur in diesem Land so ganz nach dem Geschmack der Zuhörer war. Dieter Schröder stellte sein Buch, das auch ein Rostock-Buch ist, in der ausverkauften Universitätsbuchhandlung Thalia am Freitagabend vor.

Dieser Abend hatte Stil. Das lag an der klugen Auswahl der Lesepassagen, die Dieter Schröder (67) seinem Publikum präsentierte, aber auch an der kongenialen Moderation und Gesprächsführung von Konrad Reich, dem Patriarchen der norddeutschen Verlegerschaft, in dessen Verlag dieses "ganz im klassischen Sinne gemachte Buch" erschienen ist. "Wir haben uns Zeit gelassen, es reifen lassen", sagt Reich. Unter den 1900 Büchern, die er als Lektor und Verlagschef betreute, sei dieses eine Kostbarkeit. Schröders geradezu britisches Understatement, sein wacher Verstand, seine Beobachtungsgabe, die Fähigkeit, sich von der gleißenden Kulisse der Macht nicht blenden zu lassen, sondern mit "dummen Fragen" offenzulegen, dass der Kaiser nackt ist, seien in dieser Mischung "einfach ein Genuss".

Kein Zweifel - Schröders Thema ist Deutschland, das schwere Schicksal dieses Landes zwischen Mystik, Wahn und technischer Perfektion, wo Leichtigkeit, Lebensart und Lebensfreude wirklich exotisch erscheinen und bestenfalls als Spaßgesellschaft vorkommen. Umstände, die ihn oft in tiefes Nachdenken über Deutschland versetzen.

Die Reichsgründung 1871 deutet er nicht als Tat des deutschen Patriotismus, eher als antifranzösischen Chauvinismus. Die deutsche Einheit als Glücksfall, auf den niemand vorbereitet war. Honeckers Protz in den Suiten des Schlosses Hubertusstock, mit dem er die westdeutsche Verhandlungsdelegation beeindrucken wollte, der Schröder angehörte, bewirkt bei ihm das Gegenteil. Er kennt die DDR, kann vergleichen. Schröder fühlt sich befremdet, bestenfalls belustigt. Die DDR ist wenige Monate später eine Fußnote der Geschichte. Verblüffend, auch für den Politiker, dass es so überraschend kam.

Harald Ringstorff wird von Schröder eine gewinnende Offenheit attestiert, als der heutige Ministerpräsident ihn 1993 überredet, sich als neuer Rostocker OB ins Spiel zu bringen, um nach Lichtenhagen und katastrophaler Verschuldung Ordnung zu schaffen. Ringstorffs Gründe fand Schröder "eher abschreckend", aber er kam und war bis 1995 Rostocks Oberbürgermeister. Große Verblüffung, drei Jahre nach der Wende noch ein Steuerrad - Geschenk der Volksmarine an den letzten DDR-OB - in der Vitrine seines Arbeitszimmers im Rathaus vorzufinden. "Das hat offenbar niemanden gestört." Indizien, die Schröder wahrnimmt, um sie auf ihre Tauglichkeit zur Deutung von Befindlichkeiten, Stimmungen und des Zustands der Politik zu befragen.

Seine Antworten, mit bewundernswerter Noblesse vorgetragen, folgen seiner ernüchternden Einsicht: "Unser Hauptproblem besteht in der Weigerung der Politik, sich den Problemen zu stellen." Vierjährige Amtszeiten führen nach Schröder dazu, dass sich eine Regierung im ersten Jahr zusammenfinden muss, im zweiten und dritten Zeit hat, ihre Verbrechen zu begehen, dann ist schon wieder Wahlkampf. Wenn die Probleme liegen bleiben, helfen eben nur "dumme Fragen".

Dieter Schröder ist ein Freund der Dialektik, er will herausfordern, zuhören, gemeinsam die Dinge besser machen. Freund-Feind-Denken ist ihm suspekt. Sein Feld ist der kritische Dialog, gewürzt mit Fachkenntnis, Humor und Ironie. In alldem ist er ein Meister.

Die Ehre an diesem Abend erwiesen ihm neben dem Ministerpräsidenten auch Finanzministerin Sigrid Keler und Umweltminister Wolfgang Methling, der als Präsident der Kulturstiftung Rostock, die diesen literarischen Abend präsentierte, die nächsten Vorhaben der Stiftung vorstellte.

Wer intelligent erzählte Zeitgeschichte mit biographischem Einschlag mag und Schröders Sicht auf Rostock kennenlernen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

Ulrich Vetter, 18.11.2002


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